05.06.2023
Auf einer Welle des Erfolges
Für Dinja van Liere waren die letzten Monate ein berauschender Höhenflug. Sie selbst hat bei all ihren Erfolgen aber nicht die Bodenhaftung verloren. Ein Besuch bei der sympathischen Dressurreiterin in den Niederlanden.
Immer wieder säumen kleine Windmühlen den Weg, rechts und links mümmeln Pferde, Kühe und hin und wieder ein paar Schafe im Gras. Dazwischen stehen die für die Niederlande so typischen Häuser, jedes von ihnen hat seinen ganz eigenen Charme. Zwei, drei langgezogene Kurven noch, dann gibt der schmale Weg den Blick frei auf das Ziel. Ein schmuckes Wohnhaus mit hellem Klinker und großzügigen, weißen Sprossenfenstern ist das erste, an dem die Augen fasziniert festhalten. Ein filigranes Tor macht ganz gemächlich den Weg zur großzügigen Reitanlage frei. Malerisch liegt hier ein Dressurplatz im Schatten hoher Bäume, dahinter dösen Pferde in der Sonne, rechts daneben führt eine schwere Türe zum Stall. Für einen kurzen Moment wird die morgendliche Idylle von einem lauten Bellen unterbrochen. Zwei Hunde kommen herangeprescht. Ein kurzes, freundliches Beschnuppern, dann eilen die beiden Old English Bulldoggen wieder zur Reithalle zurück, wo sie sich entspannt am Eingang drapieren. „Princess“ und „Monster“ weichen ihrer Besitzerin nie lange von der Seite. Und die ist gerade mitten im Training.
Kadenziert, mit viel Ausdruck tanzt der imposante Rappe durch die Arena. Darauf sitzt eine hochgewachsene schlanke Reiterin, ihre langen, hellblonden Haare hüpfen im Rhythmus der Passage unter dem Reithelm mit. Es ist Dinja van Liere, 32 Jahre alt, der Shooting-Star in der niederländischen Dressurszene. Hier, in Uden, auf der schmucken Anlage von Reesink Horses hat sie vor zweieinhalb Jahren ein Zuhause gefunden – keine 20 Meter von ihren Pferden entfernt. „Ich genieße es, so nah bei den Pferden zu wohnen“, sagt Dinja van Liere, während sie absteigt und eines ihrer Nachwuchspferde aus der Halle führt. Lowlands. Ein Sohn des Millennium. Geschlecht: Hengst. Die hat die Niederländerin am liebsten. „Hengste haben ein großes Ego“, sagt sie. „Das mag ich.“
Auch, wenn sie genau dieses Ego im Verlauf der Ausbildung manchmal vor besondere Herausforderungen stellt. Bei Hermes zum Beispiel. Ihrem Top-Pferd. Dem Pferd, das ihr im vergangenen Jahr zwei Bronzemedaillen bei den Weltmeisterschaften in Herning geschenkt hat. „Ihm sind zu Beginn die einfachen Dinge schwer und die schweren Dinge leichtgefallen“, erzählt Dinja van Liere, die heute mit Fug und Recht behaupten kann, mit dem Easy Game-Sohn zu einer echten Einheit verschmolzen zu sein. Für das Training mit ihrer Nr. 1 pendelt sie jeden Tag ins 45 Minuten entfernte Heerewaarden, wo der 11-Jährige im Stall seines Besitzers Joop van Uytert beheimatet ist. Ein Aufwand, den die Niederländerin gerne auf sich nimmt: „Hermes ist etwas ganz Besonderes.“ Während sie das sagt, fällt ihr Blick auf eine imposante Collage, die den Eingangsbereich der Reithalle schmückt. Sie zeigt Impressionen vom CHIO Aachen 2021. Impressionen, die an jenen unvergesslichen Moment erinnern, als die beiden als Sensations-Sieger im Preis der Familie Tesch gefeiert werden. „Das war ein unbeschreibliches Gefühl“, erinnert sich die 32-Jährige. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Ihre Augen strahlen. „Ein Sieg in Aachen – davon träumt jeder Reiter. Diesen Tag werde ich nie vergessen“, sagt sie und geht mit vor Stolz leicht geröteten Wangen und einem Halfter in der Hand die Stallgasse entlang.
Als sich ihre Schritte nähern, ertönt ein freundliches, wenn auch schüchternes Brummeln aus einer der Boxen auf der rechten Seite. Hartsuijker, ihr zweites Eisen im internationalen Grand Prix-Sport, freut sich über die Aufmerksamkeit seiner Reiterin. Entgegen deren Beuteschema ist er kastriert. Und trotzdem ist der imposante Fuchs für Dinja van Liere etwas ganz Besonderes. „Er geht nicht so aus sich heraus, wie die Hengste das tun, ist eher etwas introvertiert“, beschreibt sie den Johnson-Sohn, der mit seinen elf Jahren von Bestleitstung zu Bestleistung piaffiert. „Er hat ein so großes Herz und will einfach immer alles richtig machen.“ Seit 2015, da ist der KWPN-Wallach gerade dreijährig, sitzt Dinja van Liere schon in seinem Sattel.
Die Ausbildung junger Pferde bis hin zum Grand Prix-Star ist genau das, was die Niederländerin an ihrer Arbeit so fasziniert. „Ich liebe es, mitzuerleben, wie die Pferde jeden Tag etwas dazulernen“, sagt sie. „Dieser Prozess ist auch das, was die Verbindung von Reiter und Pferd über die Jahre hinweg wachsen lässt.“ Und es ist ein Prozess, der bei jedem Pferd anders aussieht. Dafür hört Dinja van Liere hinein in jedes ihrer Pferde – und sucht für jedes einzelne den passenden Weg. Hilfe hat die Niederländerin, die selbst hin und wieder gerne in den Springsattel steigt, dabei von Reining-Champion Rieky Young. Seit vier Jahren sind die beiden schon ein eingespieltes – und auf den ersten Blick vielleicht etwas ungewöhnliches – Team. Schließlich scheint die Ästhetik von Reining und Dressur oberflächlich betrachtet Welten voneinander entfernt zu sein. Aber Dinja van Liere erklärt, warum ihr System funktioniert: „Es geht darum, sich auf das Wesentliche zu besinnen“, sagt sie. „Ob Reining oder Dressur, es ist dasselbe Prinzip: Man will, dass das Pferd leicht an der Hand und vor dem Schenkel ist.“ Und das Konzept, sich im Training immer wieder auf exakt diese Grundlagen zu fokussieren, geht auf – das hat das Duo mit den zahlreichen Erfolgen der vergangenen Monate eindrucksvoll bewiesen.
Und auch für die laufende Saison hat Dinja van Liere sich viel vorgenommen. Sie hat Träume. Dazu gehört, irgendwann ihren Namen auf der Siegertafel beim CHIO Aachen zu lesen. 2021 war sie mit Platz zwei im Deutsche Bank Preis schon einmal ganz nah dran. „Es wäre schon cool, wenn ich das irgendwann schaffen könnte“, sagt die Niederländerin, die für 2023 auch einen Platz im Team für die Europameisterschaften in Riesenbeck anvisiert. Aber der Weg bis dahin ist noch lang, die 32-Jährige denkt lieber in kleinen Schritten, von Turnier zu Turnier. Und egal, wie jedes einzelne davon ausgeht, im Anschluss kehrt sie immer wieder nach Uden zurück. In ihr idyllisches Zuhause. Umgeben von ihren Pferden – und von „Princess“ und „Monster“.
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