29.06.2024

Der perfekte Moment

Der Niederländer Willem Greve reist als Anwärter auf den Rolex Grand Slam zum CHIO Aachen. Ein Besuch bei dem sympathischen Springreiter im heimischen Markelo.

Es gibt Momente, die wir ein Leben lang nicht vergessen. Szenarien, die das Leben schreibt – besser als jedes Dreh-buch sie hätte vorgeben können. Willem Greve hat so einen Moment erlebt. Auch Wochen nach seinem sensationellen Triumph huscht dem Niederländer ein ungläubiges Lächeln über die Lippen, als er jenen Augenblick Revue passieren lässt, der ihm den bisher größten Erfolg seiner Karriere beschert hat: den Sieg im Rolex Grand Prix bei den The Dutch Masters. „Das war einfach unglaublich“, erzählt der 41-Jährige von der finalen Linie des Stechparcours, auf der er und sein 12-jähriger KWPN-Hengst Highway TN N.O.P. von frenetischem Jubel und anfeuernden Pfiffen begleitet wurden. Sein Ausdruck wird noch strahlender, als er beschreibt, wie sein Blick nach dem letzten Oxer hoch zur Anzeigen-tafel ging und er nicht wirklich glauben konnte, was dort geschrieben stand: „-0,04 Sekunden leuchteten da in grünen Lettern. Da wusste ich, dass ich gewonnen habe.“ Und nicht nur das: Mit diesem Sieg, ausgerechnet vor heimischem Publikum, sichert sich Willem Greve als erster Niederländer überhaupt einen Major-Sieg und avanciert so zum Anwärter auf den Rolex Grand Slam.

 

„Von so einem Erfolg träumst du dein Leben lang“, sagt Willem Greve. Wieder lächelt er über das ganze Gesicht, während er zu Hause auf seiner Terrasse entspannt an seinem Kaffee nippt. Zu Hause, das ist in Markelo, einem idyllischen Dorf in der niederländischen Provinz Overijssel. 2011 hat er hier eine kleine Reitanlage erworben und sie peu à peu in ein traumhaftes Domizil für sich und seine Pferde verwandelt. Das schmucke Wohnhaus mit braunem Klinker und großzügigen, weißen Sprossenfenstern ist das erste, an dem die Augen fasziniert festhalten. Von dort aus ist der Blick frei auf den malerisch im Schatten hoher Bäume gelegenen Springplatz, daneben dösen Pferde in der Sonne, weiter links drehen andere ihre Runden in der reetgedeckten Führmaschine. Zusammen mit der modernen Reithalle finden sich hier beste Bedingungen für das tägliche Training. Dazu kommt ein erlesenes Team, das dem Niederländer den Rücken stärkt. „Die richtigen Leute um sich herum zu haben, ist immens wichtig“, so Willem Greve, der weiß, wie nah Erfolg und Misserfolg in seinem Sport beieinander liegen.

2021 erlebt er in Tokio (JPN) seine ersten Olympischen Spiele. Willem Greve fühlt sich endgültig an-gekommen in der Weltspitze. Er schmiedet Pläne. Doch inmitten der Vorbereitungen auf die Welt-meisterschaften im dänischen Herning folgt im Jahr darauf ein jäher Rückschlag. Er stürzt vom Pferd und bricht sich sowohl den Knöchel als auch den Oberarm. Die Zeit der Rekonvaleszenz ist keine leichte für den Niederländer. „Meine Verletzung war wirklich bitter“, blickt er zurück. Aufgeben ist aber keine Option. Zu groß ist die Leidenschaft für seinen Sport und die Pferde, die ihn schon sein ganzes Leben umgeben. „Sehr jung“, beantwortet er schmunzelnd die Frage, wie alt er war, als er mit dem Reiten begonnen hat. Lediglich mit der Wahl der Disziplin haderte er anfangs. „Als kleiner Junge haben mich Pferderennen begeistert“, erzählt er und fügt an: „Aber für Jockeys gibt es in den Nieder-landen keine Zukunft.“ Also versucht er sich im Springen – und bleibt dabei. Eine Entscheidung, die er bis heute nicht bereut. Auch nicht nach seinem schweren Sturz. „In unserem Sport muss man auch einstecken können“, weiß Willem Greve, der auch in diesen schweren Monaten die Zuversicht nicht verloren hat. „In meinem Kopf drehte sich alles nur darum, möglichst schnell wieder gesund zu werden.“ Konsequent, aber auch mit dem nötigen Maß an Vernunft, kämpft er sich in den Sattel zurück und gehört bereits 2023 bei den Europameisterschaften in Mailand (ITA) wieder zur niederländischen Equipe.

 

Zu eben dieser möchte Willem Greve auch gehören, wenn in diesem Sommer die Olympischen Spiele in Paris ausgetragen werden. Doch vor dem Jahreshöhepunkt in der französischen Hauptstadt steht für den Niederländer ein weiteres Highlight in Versalien in seinem Termin-kalender: der CHIO Aachen. Zum Weltfest des Pferdesports reist der 41-Jährige als Anwärter auf den Rolex Grand Slam. Eine Bürde? „Nein“, sagt er bestimmt. „Das ist eine große Ehre für mich. Ich freue mich riesig darauf, in Aachen anzutreten.“ Und wer weiß, vielleicht erlebt Willem Greve am finalen Sonntag im Rolex Grand Prix erneut einen dieser unvergesslichen Momente wie aus dem Drehbuch. Mit Happy End.