26.11.2021
Isabell Werth: Darum ist es für den Dressur-Nachwuchs viel schwieriger als für die Springreiter
Aachen Dressage Youngstars mit Teilnehmern des CHIO Aachen CAMPUS-Exzellenzprogramms
Gestern sind die Aachen Dressage Youngstars gestartet, ein internationales Dressurturnier für Nachwuchsreiter. Mit dabei: Teilnehmer des aktuellen CHIO Aachen CAMPUS Exzellenz-Programms, die von Head Coach Isabell Werth trainiert werden. Wir sprachen mit der erfolgreichsten Reiterin der Welt über die Schwierigkeiten der Jungen Reiter beim Wechsel ins Seniorenlager.
Frage: Wie sieht’s aus mit dem deutschen Dressur-Nachwuchs?
Isabell Werth: Wir haben sehr gute Pferd-Reiter-Kombinationen. Entscheidend ist, wie sehr es gelingen wird, diese auch in den Seniorenbereich zu bringen. Durch zum Beispiel U25 und Piaff-Förderpreis können wir die Reiterinnen und Reiter gut darauf vorbereiten, doch entscheidend ist, sich im nächsten Schritt in den Seniorensport rein zu entwickeln.
Frage: Dazu bedarf es neben vielen anderen Dingen auch eines Top-Pferdes…
Werth: Das ist so. Und es ist das eine, das richtige Pferd zu haben – aber es ist etwas ganz anderes, dieses Pferd auch für den großen Sport auszubilden.
Frage: Ist es das, was den Wechsel aus dem Nachwuchs- ins Seniorenlager so schwierig macht? Dass es eben nicht reicht, „nur“ gut zu reiten?
Werth: Richtig. Und das macht es in der Dressur eben um ein Vielfaches schwieriger als im Springen. Ein talentiertes Springpferd, dass es in den Junge Reiter-Bereich geschafft hat, das hat auch eher die Möglichkeiten, es später dann höher und weiter zu schaffen. Das ist in der Dressur anders: Da muss der Junge Reiter mit seinem Pferd auf einmal Piaffe und Passage lernen – dieser Schritt ist riesengroß. Und in der Dressur eben viel größer als im Springen.
Frage: Und was schlägt die beste und erfolgreichste Reiterin der Welt da vor?
Werth: Die eine Lösung habe ich nicht, ich weise nur immer wieder darauf hin, dass es nicht reicht, das Absolvieren von Lektionen zu erlernen, sondern dass die Ausbildung des Pferdes das A und O ist.
Frage: Wie war das bei Ihnen damals?
Werth: Ich hatte das große Glück, mit 17 Jahren bei Dr. Schulten-Baumer zu reiten, der immer nur auf den Grand Prix geschaut hat, er hat sich nur mit der Ausbildung junger Pferde für den Grand Prix-Sport beschäftigt. Für ihn war nicht wichtig, ob ich auf dem Weg dahin die Junge Reiter-Tour reiten würde oder nicht. Kurzes Beispiel: Gigolo war damals siebenjährig und hätte ohne Weiteres in der Junge Reiter-Tour starten können, aber der Doktor hat direkt gesagt: Den bereiten wir für den Grand Prix vor. Denn wenn Du erst mit einem zehn- oder elfjährigen Pferd beginnst, Dich auf die U25 und den Grand Prix-Sport vorzubereiten, dann ist der Zug zumeist abgefahren.
Frage: Ein junger Sportler muss also immer auch Ausbilder sein?
Werth: So ist es. Idealerweise habe ich als Nachwuchsreiter ein erfahrenes Pferd für die Junioren- und Junge Reiter-Tour, um dort Erfahrungen zu machen, Routine zu bekommen und zu lernen, wie’s geht. Parallel sollte ein junges talentiertes Pferd Richtung Grand Prix ausgebildet werden.
Frage: Trotz dieser Schwierigkeiten ist Deutschland DIE Dressur-Nation. Wie gelingt das immer wieder?
Werth: Weil die Infrastruktur hervorragend ist – von der Zucht bis zur Ausbildung. Es gibt starke Kombinationen, aber es sind seit vielen Jahren auch dieselben Namen, die das Ausbildungsprinzip verinnerlicht haben – Dorothee Schneider ist seit Jahren dabei, ebenso die Familien Rothenberger, Theodorescu, Linsenhoff, Capellmann/ Lütkemeier. Und wenn dann jemand dazukommt, wie jetzt Jessica von Bredow-Werndl und Benjamin Werndl, dann ist das das Ergebnis von langer und harter Arbeit und Ausbildung. Ein gutes Beispiel ist auch Helen Langehanenberg, die sich ihren Erfolg über die Ausbildung und den Beruf Pferdewirt auf einem langen und kontinuierlichen Weg erarbeitet hat. Der Spaß daran, immer wieder Pferde in den Sport zu bringen und auszubilden, und jungen Menschen diesen Spaß auch zu vermitteln, war für mich übrigens auch ausschlaggebend, beim CHIO Aachen CAMPUS dabei zu sein.
Frage: Als Head Coach Dressur des Exzellenz-Programms vermitteln Sie gerade wieder einem Jahrgang dieses Credo. Wie schlagen sich die jungen Leute?
Werth: Aktuell haben wir Halbzeit im Exzellenz-Programm. Es ist eine ganz illustre internationale Mischung auf höchstem Niveau. Ein, zwei sind dabei, die Profi werden wollen und auch können und es sich ganz klar auch als Berufsziel gesetzt haben. Andere haben sich das nicht als Hauptziel gesetzt, reiten aber dennoch extrem engagiert und auf tollem Niveau. Wieder andere stehen an der Schwelle und vor der Entscheidung: Profireiter oder doch eine Ausbildung nach der Schule beginnen. Spannend.
Frage: Das Exzellenz-Programm des CHIO Aachen CAMPUS unterstützt nicht nur im sportlichen Bereich.
Werth: Es gibt so viele Bereiche, die letztlich darüber entscheiden, ob ich es schaffe oder ob dann doch noch etwas fehlt: Neben Talent, Fleiß und Ehrgeiz geht es auch um Fitness – physisch und psychisch –, Pferde- und Stall-Management, Ernährung, Mediencoaching und viele weitere Dinge. Es sind unterschiedlichste Experten, die den Teilnehmern des Exzellenz-Programms auf ihrem weiteren Weg helfen.
Frage: Zurück zum Sport: Wie wichtig sind auf diesem Weg Turniere wie die Aachen Dressage Youngstars, die am Donnerstag gestartet sind?
Werth: Sehr, denn die Sportler müssen Prüfungsroutine auch auf hohem Niveau und gegen bestmögliche Konkurrenz bekommen. So lernen sie, mit unterschiedlichsten Situationen und mit Druck umzugehen. Daher sind auch mehrere Teilnehmer des CAMPUS-Exzellenzprogramms hier am Start.
Frage: Was macht in Ihren Augen die Aachen Dressage Youngstars aus?
Werth: Es ist am Ende der Saison noch einmal eine Standortbestimmung, die Nachwuchsreiter können sich noch einmal mit ihresgleichen messen, gerade auch, weil die Aachen Dressage Youngstars ein internationales Turnier sind. Dazu kommt natürlich der Mythos Aachen und der große Traum der Reiter, eines Tages auch nebenan im Deutsche Bank Stadion zu reiten. Aachen ist Aachen und wird immer ein besonderes Turnier bleiben.
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